Hitlers "Mein Kampf" enthält neben den pseudo-wissenschaftlichen Verfälschungen, Mythen und Verherrlichungen, auch noch die Darlegung seines Aktionsplanes. Er geht ausführlichst auf die Propaganda und das Führerprinzip ein sowie auf die Organisation der Parteiaktionen und die Struktur der Nation nach der Machtergreifung, einschließlich seiner Zukunftspläne.
Nach seiner Entlassung aus dem Landsberger Gefängnis ging Hitler daran, das Fundament für sein Schattenkabinett zu legen.
Parallel zu den Organen der amtierenden Regierung, wurden im Rahmen der Parteistruktur Büros und Institutionen etabliert, Parteifunktionäre mit den Posten betraut, die u.a. Rechtspolitik, Erziehung und Ausbildung so-wie Gesundheit und rassistische Angelegenheiten umfassten. Allmählich entstanden dann auch Nazi-Organisationen für Beamte, Journalisten, Lehrer, Ärzte usw.
Die peinlichst getroffenen Vorbereitungen der Nazis trugen Früchte, denn 1933 sahen sie sich in der ausgezeichneten Lage, die Macht an sich reißen und rasch konsolidieren zu können.
Andere Gruppen witterten ebenfalls eine Chance, ihren Einflussbereich auszudehnen. Auch sie waren, gleich den Nazis, gut vorbereitet und startbereit. Das Konzept hatten sie zur Hand, sie brauchten das Programm nur noch in Gang zu bringen, um das erwünschte Ergebnis zu erzielen.
Das offizielle Organ der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, das "Archiv für Rassen - und Gesellschaftsbiologie" begrüßte Hitlers Macht-ergreifung als großen Gewinn für die Gesellschaft, da Hitlers Vorstellungen auf dem Gebiet der Rassenhygiene mit ihren eigenen konform gingen.
Bei einer Tagung der "Wissenschaftler" über rassenhygienische Probleme, äußerte der Reichsminister des Innern, Wilhelm Frick, daß die Zahl der schwachsinnigen und körpergeschädigten Kinder, die deutschen Eltern geboren würden, sehr hoch sei. Nach Schätzungen der Spezialisten - so Frick - sei jeder fünfte Deutsche biologisch krank. Dieser Teil der Bevölkerung müsse daran gehindert werden, Nachkommen zu zeugen, da diese nicht mehr erwünscht seien.
Schon vier Monate nach den Märzwahlen, die die Nazis an die Macht gebracht hatten, am 14. Juli 1933, erzielten die Verfechter der Rassen -und der Psychischen Hygiene ihren ersten triumphalen Erfolg. Vor diesem Datum hatte es, gemäß den Interpretationen einer juristischen Mehrheit, als illegal gegolten, Sterilisation aus rassenhygienischen Gründen durchzuführen. Alle jemals gemachten Einwände wurden durch das an diesem Tag erlassene "Gesetz zur Verhinderung von Erbkrankheiten in der Nachkommenschaft'', besser bekannt als das "Sterilisationsgesetz", verworfen. Baumeister dieses Gesetzes war der international bekannte rassenhygienische Psychiater und aktive Anführer der Psychischen Hygiene in Deutschland : Professor Dr. Ernst Rüdin, Ordinarius für Psychiatrie an der Universität München. Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Genealogie und Demographie der Forschungsanstalt für Psychiatrie. Außerdem befand Rüdin sich unter den deutschen Delegierten auf dem "Ersten Internationalen Kongress für Psychische Hygiene", der 1930 in Washington stattfand und auf dem Rüdin sich für eine verstärkte Integration der Rassen - und Psychischen Hygiene einsetzte.
Kurze Zeit nach dem Erlass des Sterilisationsgesetzes, veröffentlichte er zusammen mit dem Juristen Dr. Falk-Ruttke, geschäftsführender Direktor des Reichsausschusses für Volksgesundheitsdienst beim Reichsministerium des Innern und dem Nazi-Experten für Bevölkerungsangelegenheiten, Arthur Gütt, Ministerialdirektor im Reichsministerium des Innern, einen Kommentar über Sinn und Zweck dieses Gesetzes.
Das Gesetz trat am 5. Januar 1934 in Kraft. Obwohl sehr umfangreich und detailliert in der Ausführung, verfolgte es dennoch nur den einen Zweck, nämlich die Nation zu säubern, d.h., sie von den unreinen und im Sinne des nordischen Ideals unerwünschten Elementen zu befreien.
Das Gesetz betrifft die folgenden Kategorien von Menschen:
§1
"(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.
(2) Erbkrank ist im Sinne des Gesetzes, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:
1. angeborenem Schwachsinn,
2. Schizophrenie,
3. zirkulärem (manisch depressivem) Irrsein,
4. erblicher Fallsucht,
5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea)
6. erblicher Blindheit,
7. erblicher Taubheit,
8. schwerer erblicher körperlicher Missbildung.
(3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet."
Das Gesetz ließ Raum für Gesuche von solchen Personen, die sich sterilisieren lassen wollten bzw. für Gesuche von ihren gesetzlichen Vertretern, falls sie selbst nicht dazu in der Lage waren, oder auf Grund ihres Schwach-Sinns für unmündig erklärt worden waren, oder ihr 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten.
Sterilisation konnte auch vom Amtsarzt oder, falls es sich um Patienten eines Krankenhauses, eines Sanatoriums, einer Pflegeanstalt oder den Insassen eines Gefängnisses handelte, von dem Leiter der jeweiligen Institution beantragt werden.
Ein eigenes Rechtssystem wurde für diesen Zweck entwickelt. Gerichte zur Verhinderung von Erbkrankheiten wurden eingerichtet und zwar "Erbgesundheitsgerichte'', den bestehenden Amtsgerichten angegliedert, sowie Erbgesundheitsobergerichte, den bestehenden Oberlandesgerichten angegliedert. Bei Gerichtsverfahren dieser Art waren jeweils ein Richter und zwei Ärzte (meistens Psychiater) anwesend, Zeugen und Spezialisten konnten hinzugezogen werden. Die Verfahren sollten nach den Regeln der Zivilprozesse ablaufen.
Das Gesetz ging sogar soweit, dass, wenn das Gericht sich für eine Sterilisation entschieden hatte, sie auch gegen den Willen der Person, die sterilisiert werden sollte, durchzuführen war.
12
"(1) Hat das Gericht die Unfruchtbarmachung end-gültig beschlossen, ist sie auch gegen den Willen des Unfruchtbarzumachenden auszuführen, sofern nicht dieser allein den Antrag gestellt hat. Der beamtete Arzt hat bei der Polizeibehörde die erforderlichen Maßnahmen zu beantragen. Soweit andere Maßnahmen nicht ausreichen, ist die Anwendung unmittelbaren Zwanges zulässig."
Seit Januar 1934 amtierten die Erbgesundheitsgerichte in voller Aktion. Man war in Deutschland sogar stolz auf diese Erfindung, dass man ausländische Interessenten einlud, an den Prozessen teilzunehmen, damit sie ihre Beobachtungen auch in ihrem Heimatland verbreiten konnten. Einer dieser Gäste war Lothrop Stoddard, amerikanischer Sozial-Darwinist, Rassist und Befürworter der Nazis. Er kommentierte in seinem Buch über das Deutschland der Nationalsozialisten seinen Aufenthalt in Deutschland, wo er Einblick in die sozialisierteྒ Gesundheit und die rassenhygienischen Gerichte nehmen konnte. Das folgende Zitat stammt ursprünglich aus einer Unterhaltung, die er mit einem "ernsten jungen Mann", Leiter der Tuberkuloseabteilung im Hauptquartier des Volksgesundheitsdienstes, geführt hatte:
"Die Behandlung, die einem Tuberkulosekranken gewährt wird, richtet sich zum großen Teil nach seinem sozialen Wert. Ist er ein wertvoller Bürger und sein Fall heilbar, werden keine Kosten gespart. Falls unheilbar krank, wird natürlich für ihn gesorgt, aber es werden keine besonderen Anstrengungen unternommen, um eine Existenz, die weder der Gemeinschaft noch ihm selbst zugutekommt, auch nur etwas zu verlängern. Deutschland kann nur eine gewisse Anzahl von Menschen zu einer gegebenen Zeit ernähren. Wir Nationalsozialisten sind an die Pflicht gebunden, Individuen von sozialem und biologischem Wert zu begünstigen".
(Übersetzung des Verfassers).
Stoddard war sichtlich beeindruckt von den Maßnahmen, die die Nazis im Dienste der Gesundheit des Volkes ergriffen und berichtete an anderer Stelle in seinem Buch über seinen Besuch des Erbgesundheits-Obergerichtes in Berlin-Charlottenburg. Er hatte sich schon immer für die praktische Anwendung der Biologie und Rassenhygiene interessiert und sich mit diesen Gebieten eingehend auseinandergesetzt. Während seines Deutschlandaufenthaltes hatte er nicht nur Gelegenheit, die Rassenhygiene am praktischen Beispiel zu studieren, sondern konnte auch zahlreiche Diskussionen mit Experten auf diesem Gebiet führen, u.a. mit offiziellen Sprechern wie Eugen Fischer, Fritz Lenz und Hans Günther. Stoddard zitiert Professor Günther:
"Das nordische Ideal wird für uns zum Ideal der Einheit, das, was allen Teilen des deutschen Volkes eigen ist, ist die nordische Beanspruchung. Die Frage ist nicht so sehr, ob wir, die wir heute leben, mehr oder weniger nordisch sind; die Frage, die sich uns stellt, ist, ob wir den Mut haben, Vorbereitungen für die kommenden Generationen zu treffen. Eine Welt, die sich selbst rassisch und rassenhygienisch rein hält."
Stoddard fügte dem noch hinzu:
"Ohne diese ausgesprochen umstrittene rassistische Doktrin (in Bezug auf die Juden) befürworten zu wollen, ist es durchaus berechtig zu sagen, dass das rassenhygienische Programm Nazi-Deutschlands das ehrgeizigste und umfassendste rassenhygienische Experiment ist, das jemals von einer Nation in Angriff genommen wurde."
(Übersetzung des Verfassers)
In seiner Abhandlung befasste sich Stoddard mit den verschiedenen Aspekten der rassenhygienischen Bevölkerungspolitik der Nazis und geht gegen Ende seiner Betrachtung noch auf die psychologischen Aspekte ein: er habe festgestellt, dass die Herrscher des Dritten Reiches es nicht bei den gesetzlichen und wirtschaftlichen Maßnahmen bewenden ließen. Sie seien sich bewusst, dass die Ideologie mobilisiert werden müsse, um ihr Ziel vollständig erreichen zu können. Daher würde das deutsche Volk systematisch mit Propaganda überhäuft, um etwas aufzubauen, das man als rassisches und eugenisches Bewusstsein bezeichnen könne.
Als ob die acht Kategorien des Sterilisationsgesetzes, nach denen man in den Genuss des Privilegs, sterilisiert zu werden, kommen konnte, noch nicht ausgereicht hätten, wurde am 24. November 1933 erlassen, dass "gewohnheitsmäßige Beleidiger der öffentlichen Moral" kastriert werden sollten.
Die nazistische Definition von "Moral", schloss wohl auch Juden und jeden anderen mit ein, der "Rassenschande" beging.
Die Ereignisse der folgenden Jahre verdeutlichen, dass die nationalsozialistisch orientierten Experten eine wesentlich gründlichere Maßnahme als lediglich Sterilisation und Kastration zur endgültigen Lösung sozialer Probleme im Sinn hatten.
1933 stellte Deutschland ein einzigartiges Beispiel für das typische politische Klima dar, unter dem sich eine Bewegung wie die psychorassische Hygiene voll entfalten konnte. Die ökonomischen Verhältnisse unterschieden sich nicht wesentlich von anderen Ländern, aber nirgendwo anders war die politische Situation so günstig, um die Verwirklichung des rassenhygienischen Paradieses so schnell und so uneingeschränkt wie möglich zu fördern.
Obwohl das Sterilisationsgesetz den bisher größten Gewinn für die Einrichtung einer geistig reinen Gemeinschaft darstellte, bedurfte es jedoch noch einiger Aktivitäten, um die Reinheit der ganzen Rasse. endgültig zu sichern.
Ein weiterer Schritt auf diesem Wege, waren die "Nürnberger Gesetze" von 1935.
Die antijüdischen Aktionen der Nazis vor 1933 entbehrten jeder legalen Verankerung in der Verfassung und Gesetzgebung, Schon bald nach der Machtergreifung begann daher der endlose Strom anti-jüdischer Gesetzgebung. Zunächst erzielten diese Gesetze die Zwangsentlassungen der nichtarischen Beamten, sahen Befragungen der Beamten im öffentlichen Dienst in Bezug auf ihren rassischen Hintergrund vor und enthielten Versuche, "nicht-arisch" zu definieren.
Belästigungen der Juden aufgrund "eigener Initiative" gehörten jedoch auch schon vor der Machtergreifung zur Tagesordnung, erweckten allerdings weitgehend die Missbilligung der Parteiführer, die es vorzogen, diese ganze Angelegenheit auf legalem Wege zu bereinigen. Selbst Julius Streicher, der berüchtigte und infame Judenhetzer, verurteilte öffentlich den Gebrauch nicht-legaler Mittel. Er ging sogar so weit, die Frevler zu bezichtigen, selbst "Juden" zu sein.
Die Judenhetze erreichte ihren ersten Höhepunkt während des Festaktes des Nürnberger Parteitages am 15 September 1935, als Goering unter dem Jubel der versammelten Nazi-Funktionäre die sogenannten "Nürnberger Gesetze" verlas. Seit 1933 waren zwar schon einige Bürgergesetze erlassen worden, doch die beiden neuen Gesetze erfassten den Bereich vollkommen und ließen keine Zweifel mehr offen.
Das erste Gesetz, das "Reichsbürgergesetz", teilte die deutsche Nation in zwei verschiedene Klassen von Bürgern ein, in die "Reichsburger", die reinen deutschen Blutes sein mussten und in die "Staatsangehörigen", die zwar Untertanen waren, aber keinerlei Rechte als Bürger besaßen. Dieses Gesetz, basierend auf rassistischen und ideologischen Beweggründen, platzierte die Juden auf einen Schlag in die Kategorie zweitrangiger Staatsbürger.
Das Gesetz "zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" (das zweite der "Nürnberger Gesetze"), kurz "Blutschutzgesetz", war dazu bestimmt, die rassische Reinheit der Nation für alle Zeiten zu sichern. Es machte grundlegend jeden Geschlechtsverkehr zwischen diesen beiden neuen Gruppen von "Reichsbürgern" und "Staatsangehörigen" strafbar, zielte jedoch hauptsächlich auf die Juden ab. Außerdem diente dieses Gesetz auch noch als Basis für weitere Verfügungen zur Isolierung der sozial unerwünschten in den folgenden Jahren.
Es versteht sich von selbst, dass Ernst Rüdin für die deutsche Bewegung der Rassenhygiene (Eugenik) und der Psychischen Hygiene in Anspruch nahm, diese Gesetze zu einem gewissen Grade inspiriert zu haben.
Ziel der Rassenhygiene war es, eine fiktive arische Rasse zu schaffen. Demgemäß mussten alle "nichtarischen" Elemente ausgerottet werden. Außer der falschen Chromosomenkombination, scheint es jedoch auch ein "nichtarisches" Element gewesen zu sein, eine andere Meinung zu haben oder anderer Meinung zu sein. So wurden systematisch zuerst alle Minderheiten aus dem Weg geräumt und man fing - mit Ausnahme der zum Sündenbock erklärten Juden - bei den kleinsten an und arbeitete sich von dort aus empor.
Dadurch wurden die größeren Minderheiten in dem Glauben gelassen, sie kämen nicht "dran". Wäre man umgekehrt vorgegangen, wäre allen klar gewesen, dass es allen "an den Kragen ginge" und sie hätten sich, als die Nazis noch nicht so recht sattelfest waren, gegen dieses Vorgehen vereinen können.
Als "nichtarische" Minderheiten erachtete man Zigeuner, Freimaurer, Zeugen Jehovas, Juden und Christen, vor allem deren Geistliche. Ein gemeinsames Merkmal all dieser religiösen oder weltanschaulichen Minderheiten ist, dass alle fest an etwas Seelisches oder Geistiges glauben und ihr Leben danach orientierten. Sie wären kaum auf psychiatrische Wunschvorstellungen eingegangen und fanden damit in dem psychiatrischen Weltbild keinen Platz.