Im Gegensatz zu manchen anderen Aspekten des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges, ist die "Aktion T4" noch weitgehend unbekannt. Nur wenige, zum Teil widersprüchliche Tatsachen sind bisher an die Öffentlichkeit gedrungen.
Dieser Informationsmangel bzw. die Verschleierung der Fakten, hat natürlich ganz besondere Gründe, denn 1. war die Aktion T4 mit dem Stempel "Geheime Reichssache" versehen und die Beteiligten, die als Werkzeuge bei der Durchführung dienten, an die Schweigepflicht gebunden; 2. war die Aktion schon seit langem mit größter Vorsicht geplant worden; und zu diesem Zwecke fanden regelmäßig Konferenzen des Euthanasie-Komitee unter Mitwirkung der bekanntesten deutschen Psychiater statt. Da es sich um ein durch und durch gründliches Programm handelte, waren seine Schöpfer voraussichtig genug, oder waren zumindest später Voraussicht genug, Schritte zur Tarnung zu unternehmen, um Spuren und echtes Belastungsmaterial zu vernichten. Eine brillante Idee war z.B., das Personal, das in den Euthanasie-Instituten geschult worden war und später bei noch viel größeren Aktionen eingesetzt wurde, an solche Kriegsschauplätze zu beordern, wo man ihre Überlebenschancen als äußerst minimal einschätzte. Viele wurden an die jugoslawische Front geschickt, denn Titos Partisanen waren berüchtigt dafür, niemals Gefangene zu machen. Ein großer Teil des ehemaligen Pflegepersonals kam dort um.
Die "Aktion T4" war voll in die organisatorische Struktur des Reiches integriert, sie fiel unter die Sektion IIb "Gnaden-Tod" der "Kanzlei des Führers" (KdF), eine private Kanzlei, unabhängig von den Kanzleien des Reiches und der Partei, die im Gebäude der Reichskanzlei untergebracht war. Kanzleichef war seit 1934 Reichsleiter Philipp Bouhler, der spätestens ab 1939, wenn nicht schon früher, zum administrativen Leiter der Vernichtungsaktion wurde, die man im Namen der Euthanasie oder "Sterbehilfe" oder des "Gnadentodes" durchführte.
Mitte 1939 begann die Endphase der administrativen Vorbereitungen des Euthanasie-Programmes. Sie erstrechte sich hauptsächlich auf die Geheimhaltung und Absicherung nach außen hin: das deutsche Volk durfte keinerlei Verdacht schöpfen; das Programm sollte ohne Störungen anlaufen können. Also mussten die Aktionen so gut wie eben möglich getarnt werden. Einen großen Beitrag zur Erfindung und Einrichtung dieser notwendigen Tarnmanöver, leistete Lindens Euthanasie-Komitee in Zusammenarbeit mit der KdF. Man war sich sehr bald darin einig, dass es nicht ausreichte, das in die Durchführung des Programms verwickelte Personal an Selbstmordkommandos zu übertragen, damit diese ihr Wissen nicht preisgeben konnten, sondern nur noch ins Grab zu nehmen in der Lage waren. Es galt die Ausführung des Programms selbst vor unwillkommenen Entdeckungen abzusichern. Zu diesem Zweck wurde das ganze Programm dezentralisiert. Man rief mehrere Organisationen ins Leben, von der eine jede mit speziellen Aufgaben betraut, ihren Anteil zu der Verwirklichung des Euthanasie-Programms beitrug. Über allem schwebte die KdF, unterstützt von Euthanasie-Experten des Komitees und Dr. Karl Brandt, Hitlers Leibarzt.
Zur Zentrale des gesamten Organismus, erkor man die zu diesem Zweck etablierte "Reichsarbeitsgemeinschaft Heil - und Pflegeanstalten" (RAG). Nach ihren späteren Sitz in der Berliner Tiergartenstraße Nr. 4, wurde die ganze Aktion kurz "T4" genannt. Die Zentrale "T4" leitete das Programm und erteilte die Aufträge, die dann von den anderen Organisationen ausgeführt wurden: die zu diesem Zweck eigens in Leben gerufene Organisation "Gemeinnützige Krankentransport GmbH" (Gekrat), sorgte für den reibungslosen Abtransport der von T4 ausgesuchten Opfer in die vorbestimmten Institutionen. Als dritte Tarnorganisation gründete man die "Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege" (Stiftung). Ihre Aufgabe war es, zweckmäßige Anstalten auszusuchen und mit der notwendigen Ausrüstung für schnelle Tötung der Patienten zu versehen und als "Arbeitgeber" zu fungieren. Sie traf dann auch noch die letzten Vorkehrungen nach dem "Ableben" der Patienten (kurze Mitteilung an die Hinterbliebenen über den "plötzlichen "Tod). Ironischerweise wurden die nächsten Angehörigen mit den Kosten der Tötung belastet, allerdings ohne jemals zu erfahren, wofür sie eigentlich gezahlt haben.
Parallelorganisation zur RAG mit Sonderfunktionen war der "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden, speziell zur Tötung von Kindern designiert. Dazu bedurfte es natürlich einiger Spezialisten und man heuerte zu diesen Zweck Personal an, das im Umgang mit Kindern Erfahrung hatte. Der Erlass des Reichsministers des Innern, vom 18.8.1939, der eine Meldepflicht für "missgestaltete usw. Neugeborene" einführte, kam der Kinderaktion sehr zugute. Zunächst waren nur Kinder bis zum 3. Lebensjahr betroffen, aber ab 1941 schloss die Aktion jedoch auch Jugendliche bis zum 16 Lebensjahr ein.
Diese vier Tarnorganisationen bewahrten die Urheber der Aktion T4, der Reichskanzlei und des Euthanasie-Komitees vor unerwünschten Entdeckungen. Die Initiatoren waren sogar so gut abgesichert, dass wenn damals jemand den Versuch unternommen hätte, die Verwaltungskette zurückzuverfolgen, sagen wir von einer Anstalt ausgehend, deren Patienten in Tötungsanstalten verlegt wurden, wäre er wahrscheinlich bis zu einem der vier Ausschüsse gelangt, aber die Chancen, noch weiter vorzudringen, wären sehr gering gewesen.
Die RAG hatte sorgfältige Fragebögen vorbereitet, die im Oktober 1939 an die Irrenanstalten geschickt und von den jeweiligen Anstaltsleitungen für jeden einzelnen ausgefüllt wurden. Hier eine Auswahl der zu beantwortenden Fragen: Name, Stand und Nationalität des Insassen, seine nächsten Angehörigen, ob regelmäßig besucht und von wem, Träger der Kosten, wie lange schon in der Anstalt, seit wann krank, Diagnose, Symptome, ob bettlägerig, ob unter Gewahrsam, ob an einer unheilbaren Krankheit leidend und ob kriegsversehrt oder nicht.
Bezeichnenderweise wurde noch eine weitere Frage gestellt: Welcher Rasse gehörte der Patient an?
Die ausgefüllten Fragebögen gingen zur Begutachtung an die RAG zurück. Die Auswertung nahm der Personalstab der RAG vor, zu dem hauptsächlich führende Professoren der Psychiatrie zählten. Die Abwicklung der ganzen Aktion verlief direkt im Einklang mit der Idee der perfekten Euthanasie (Ausmerzung der geistig und physisch Behinderten) und zwar zu dem Grade, da kein Patient tatsächlich von den Psychiatern, die über Leben und Tod des Patienten entschieden, untersucht wurde, sondern die Auswertung der Fragebögen als Basis für die verhängnisvolle Entscheidung diente eine große Verletzung jeder medizinischen Ethik.
Bemerkenswert ist außerdem die Art und Weise der Kennzeichnung der Ergebnisse: Die Fragebögen der Personen , die nicht unter das Euthanasie-Programm fielen, wurden mit einem Minus gekennzeichnet, während die Bögen der Opfer ein Plus erhielten. Die Auswertung der Fragebögen wurde übrigens sehr schnell abgewickelt, z.B. schaffte es allein ein "Kreuzelschreiber" in dem Zeitraum vom 14. November bis zum 1. Dezember 1940, 2.109 Fragebögen auszuwerten.
In den ersten Jahren, nach Anlaufen der Aktion T4, wurden Juden vom Euthanasie-Programm sorgfältig ausgeschlossen, da man sie nicht für wert hielt, in den Genuss der Erlösung von ihren Leiden zu kommen. Diese wohlwollende humane Maßnahme war Privileg der deutschen Staatsbürger. Dass das Euthanasie-Programm dazu bestimmt war, die sozialen Probleme mit einem Schlagwort als "Ausnahmezustand" zu lösen, zeigt die Organisation des ganzen Projektes.
Während der Fragebogenaktion und vielleicht auch schon vorher, wurden einige Irrenanstalten sowie andere geeignete Gebäude in Tötungsanstalten und Mörderschulen umgewandelt. Gaskammern, als Duschräume verwandelt und es wurden Krematorien eingebaut; beide Einrichtungen mit denen identisch, die später auch in den Tötungslagern für Juden benutzt wurden.
Man verfügte anscheinend über sechs Haupttötungsanstalten und Mörderschulen: Grafeneck, Hadamar, Hartheim (Österreich), Brandenberg, Bernberg und Sonnenstein, die Anstalt des Superexperten, Dr. Nietsche. Das ganze System funktionierte folgendermaßen -
Aufgrund der Auswertung wurden die Anstalten, die die Fragebögen ausgefüllt eingeschickt hatten, benachrichtigt, da gewisse Patienten verlegt werden müssten, angeblich, um freie Betten für die Verwundeten zu schaffen, oder ihnen für ihren Krankheitsfall eine bessere Behandlung zuteilwerden zu lassen. Diese und eine Anzahl ähnlicher Begründungen wurden in Umlauf gebracht, um eine Verlegung der Patienten zu rechtfertigen, oder einleuchten zu lassen, Jene Patienten wurden dann von der "gemeinnützigen Krankentransport GmbH" übernommen und in die Tötungsanstalten gefahren, wo sie wenige Stunden nach ihrer Ankunft eliminiert wurden. Man sicherte sich mit einer weiteren Tarnmaßnahme ab, indem die Patienten häufig nicht direkt in die Liquidierungsinstitute gebracht wurden, sondern Zwischenstationen in einer Sammelanstalt machten, in die sie zur "Beobachtung" eingewiesen wurden.
Die durch die Vergasung entstellten Körper der Ermordeten, konnte man natürlich nicht den Angehörigen überlassen, sondern mussten spurlos vernichtet werden. Die Angehörigen erhielten lediglich eine kurze Mitteilung mit gefälschter Todesursache. Die Gesamtzahl der Opfer des Euthanasie-Programms lässt sich nur schwer bestimmen, aber da 1939 300.000 bis 320.000 Geisteskranke verzeichnet waren, 1946 jedoch nur noch 40.000, scheint die bei den Nürnberger Prozessen angegebene Zahl von 275.000 ermordeten Geisteskranken zuzutreffen.
Die Aktion T4 beschränkte sich allerdings nicht nur auf die Tötung von Geisteskranken, sondern mit Fortschreiten des Euthanasie-Programmes wurden auch andere unerwünschte Kreaturen Opfer dieser Aktion. Es war offensichtlich wohl eine viel zu gute Gelegenheit, als dass sie ausgelassen werden konnte, jeden, den man nicht für lebenswert erachtete, in das Projekt mit einzuschließen. Unter denen, die im Netz der Mordaktionen gefangen waren, befanden sich Psychopathen, Schizophrene, Altersschwache, Epileptiker und andere Patienten, die an organisch neurologischen Störungen litten, einschließlich der verschiedenen Arten von Kinderlähmung, Parkinsonscher Krankheit, Multipler Sklerose und Hirntumoren; Kinder bedeuteten für den routinemäßigen Ablauf des Programmes kein Hindernis. Die speziell mit der Erfassung der kranken Kinder beauftragte "Kinder-Aktion" (s.o.), nahm sich ihrer ausnahmslos an. Mit dem Fortschreiten der "Kinder-Aktion", suchte man schließlich auch in Waisenheimen und Besserungsanstalten nach weiteren Todeskandidaten.
Das gesamte Euthanasie-Programm nimmt noch erschreckendere Ausmaße an, wenn man bedenkt, dass, nach Angaben eines Experten, 50% der ermordeten Patienten, falls man ihnen gestattet hätte, weiterzuleben, sich wieder erholt hätten und in der Lage gewesen wären, ein nützliches Leben zu führen.
Wie wir bereits gesehen haben, war man sehr darum bemüht, die Operationen von T4 zu tarnen, den Tötungsinstituten den Anschein ganz gewöhnlicher Heilanstalten zu geben, was Viktor Brack, Leiter der ganzen Sektion II der KdF und somit einer der Hauptverantwortlichen für die reibungslose Durchführung des Euthanasie-Programms, bei den Nürnberger Prozessen bezeugt. Er sagte aus, dass die Patienten ruhig mit ihren Handtüchern in die "Duschräume" gingen, dann mit ihren Seifenstücken unter den Duschen standen und darauf warteten, dass das Wasser aufgedreht würde.
Während meiner Nachforschungen fand ich über die Tötungsanstalt Hartheim mehr Material als über die übrigen Mordinstitutionen, aber der folgende Bericht kann als repräsentative Darstellung für die anderen fünf Institute genommen werden.
Schloß Hartheim, bei der Ortschaft Alkoven in der Nähe von Linz, dien-te seit 1898 als Heil - und Pflegeanstalt für Schwachsinnige und Geisteskranke. Ähnlich anderen Instituten fungierte Hartheim jedoch nicht nur als Institut zur Beseitigung von Geisteskranken, sondern auch als Mörderschule zur Ausbildung des Personals. Die Ärztliche Leitung hatten die Ärzte Dr. Georg Renno und Dr. Rudolph Lohnauer, ein Österreicher, der später zu einem der Experten der Sonderaktion 14f13 wurde, von dem wir später mehr hören werden. Sie erhielten ihre Anweisungen direkt von der Zentrale T4 und waren für den reibungslosen Ablauf des Programms und die "medizinische" Ausbildung des Personals in der Tötungsanstalt verantwortlich. Die Ausbildung zielte, abgesehen von technischem Training, darauf ab, das Personal psychologisch zu härten, so dass jeder Mitarbeiter in der Lage war, tagtäglich den Tod tausender von Menschen zu inszenieren und mit anzusehen. Die späteren Aktivitäten verdeutlichen, dass das Personal hier und in den anderen fünf Ausbildungsstätten für wesentlich größere Aufgaben, die im Namen der "geheimen Reichssache" zu erfüllen waren, geschult wurde. Tatsächlich ist auch fast jeder, der in der Durchführung des erweiterten Euthanasie-Programms engagiert war, durch eine dieser Schulen gegangen.
Mit der administrativen Leitung von Hartheim wurde der Sturmbannführer Christian Wirth, ehemaliger Kriminalkommissar, betraut, den T4 zur Überwachung der Ausbildung in der Schule eingesetzt hatte.
Abgesehen davon, dass die Tötungsanstalten als Vernichtungslager und Mörderschulen dienten, fungierten sie auch noch als wissenschaftliche Testzentren, um die von den Psychiatern des T4 "Euthanasie - Komitees" entwickelten Mordtechniken zu perfektionieren. Der Todeskampf der Opfer wurde klinisch analysiert, Experimente mit den verschiedensten Gasmischungen wurden durchgeführt, alles mit dem einen Ziel, die wirksamsten Tötungsmethoden herauszukristallieren und zu perfektionieren. Diese Versuche wurden am lebenden Objekt durchgeführt und studiert, Psychiater mit Stoppuhren in der Hand, beobachteten die sterbenden Patienten durch die Gucklöcher der Kellertüren Hartheims - die Gaskammern befanden sich in Kellerräumen - und die Länge des Todeskampfes variierte von fünf bis zu fünfzehn Minuten und wurde auf die Zehntelsekunde genau gestoppt. Filme hielten die grausigen Szenen fest. Auf-nahmen in Zeitlupe wurden angefertigt und von Psychiatern in der Zentrale T4 studiert.
In den Akten der Nachkriegsprozesse finden wir genügend Beweismaterial darüber, dass speziell ausgebildete Photographen in den Vernichtungslagern Belzek, Sobibor und Treblinka die Vergasung der Opfer filmten, genau so, wie sie es in Hartheim und den anderen Mörderschulen gelernt hatten. Auch die Gehirne der Opfer wurden fotografiert, um genau festzustellen, wann der Tod eingetreten war. Nichts überließ man dem Zufall. Die Psychiater waren äußerst gründlich.
Während der Ausbildung ging das Personal durch eine Reihe stufenförmig aufgebauter Gewöhnungsprozesse. Zunächst nahmen die Schüler an den Experimenten als Beobachter teil, dann führten sie kleinere Aufgaben aus, bis sie schließlich voll in die ganze Aktion integriert wurden, die Patienten in die Gaskammern führten, den Gashahn aufdrehten, anschließend die Räume lüfteten und die Körper beseitigten. Die Auswahl der Schüler nahmen hohe Nazi-Offiziere vor, die persönlich und auf direktem Wege der Kanzlei des Führers verantwortlich waren.
Durch den täglichen Umgang mit dem Tod, waren die Schüler offensichtlich so sehr an das Mordgeschäft gewöhnt, dass sie gegenüber den Schreien und Bitten ihrer Opfer unempfindlich wurden. Im Verlauf des Härtungsprozesses beobachteten die Lehrer ihre Schüler genau, machten über ihre Reaktionen Notizen und schrieben über ihre Fortschritte Berichte. Falls die Schüler in der Lage waren, den Mord an ihren eigenen Landsleuten, wenn sie auch geistig oder körperlich behindert waren, mit anzusehen oder aktiv herbeizuführen, wie viel leichter würde es dann erst sein, das selbe Schicksal den Untermenschen zuteilwerden zu lassen. Schüler, die den Kurs nicht beenden konnten, oder nicht geeignet waren, wurden an die Front geschickt, wo sie dann einem Selbstmordkommando zugeteilt wurden. Dadurch wurde eine Reduzierung der Leute erzielt, die willens gewesen wären, Zeugnis über die Aktionen abzulegen, in die sie verwickelt waren.
Die Gesamtzahl der Opfer von Hartheim lässt sich nur schwer schätzen. Doch, wenn wir eine Aussage bei den Dachauer Prozessen im Jahre 1947 einer Schätzung zugrunde legen, nämlich, dass täglich 30 bis 40 unerwünschte Menschen in den Kellern beseitigt wurden und ferner berücksichtigen, dass Hartheim etwa 3 Jahre lang operierte, kommen wir auf eine Zahl von ca. 30.000 Opfern.
Hartheim erfüllte jedoch noch einen anderen Zweck. Es diente auch noch als Sicherheitsventil für das nahegelegene Konzentrationslager Mauthausen, manchmal auch für Dachau, für den Fall, dass diese Lager mehr Hinrichtungen vornehmen mussten, als die jeweiligen Belegschaften verkraften konnten. Die überzähligen Opfer schickte man zur schnellen Behandlung nach Hartheim. Gegen Ende des Krieges war Hartheim lediglich ein Vernichtungslager wie alle anderen, das ehemalige Personal und die Mitarbeiter hatte man längst anderen Aufgaben zugeteilt. Die Lage Hartheims war für die Ausführung des Euthanasie-Programms ideal; eine Bahnlinie verlief in der Nähe des Schlosses und um es herum gruppierten sich einige Häuser und Bauernhöfe. Nach Linz waren es 17 Km und nach Mauthausen 23 Km.
Die Ausbildung des Personals brachte perfekte Mörder hervor, die an den Geruch verbrannten Fleisches gewöhnt waren und denen man beigebracht hatte, die Opfer, die sie in den Tod führten, zu beschwindeln und sich von ihrem Flehen und Weinen nicht erweichen zu lassen.
Die Schüler der Mörderschulen wurden natürlich für ihren "Dienst am Volk" gebührend belohnt und zwar nicht nur mit Alkohol und Frauen, die man immer für sie bereit hielt, sondern auch mit Orden. Meistens ehrte man sie mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse (EK II ). Die Ordensverleihungen während des 3. Reiches erschienen alle in einem Register mit dem Namen des Trägers, Datum, Art und Grund der Auszeichnung, Die Orden, die im Rahmen des Euthanasie-Programms verliehen wurden, hatten den Vermerk: "Geheime Reichssache".
Die Initiatoren und Verantwortlichen des Euthanasie-Programms waren sehr darum bemüht, die ganze Operation geheim zu halten und in diesen Kreisen wusste man auch warum. Alle Beteiligten waren sich darüber im Klaren, dass es keine Unachtsamkeit geben und dass keine Information durchsickern durfte, da die Opfer schließlich keine Untermenschen oder Juden waren, sondern Deutsche und Österreicher und man in der Bevölkerung einen Entrüstungssturm voraussah. Als die Bewohner der Umgebung der Tötungsanstalten dann später begriffen, was sich hinter den Mauern der "Heil - und Pflegeanstalten" abspielte, machte sich Entsetzen und Empörung breit.
Hadamar, eine der anderen Mörderschulen, erzielte recht bald nach Anlaufen des Euthanasie-Programms, eine gewisse "Berühmtheit". Ein Mitarbeiter bei dem Berufungsgericht in Frankfurt am Main schrieb bereits im Dezember1939 dem Reichsjustizminister einen Beschwerdebrief, in dem er sich darüber beklagte, dass in der Bevölkerung, hauptsächlich in der Umgebung von Irrenanstalten, ständig Diskussionen im Gange seien, über die Frage sozialunwerten Lebens und deren Vernichtung. Die Fahrzeuge, die zum Transport von Irren und Schwachsinnigen benutzt würden, seien als solche erkannt worden. Mit den Busladungen von Opfern, die nach Hadamar gebracht wurden, erreichte die Situation ein Stadium, in dem die Kinder auf der Straße den Bussen nachbrüllten "jetzt fahren sie wieder ein paar Leute in die Gaskammern".
Der Verfasser des Briefes war offensichtlich genügend informiert, denn er untermauerte seine Beschwerde mit Geschichten, die im Umlauf seien, wie z.B. die Opfer wurden sofort nach Ankunft ausgezogen, in Papierhemden gekleidet, in die Gaskammern geführt, mit Blausäuregasen liquidiert; die toten Körper wurden dann zur Einäscherung auf Förderbändern in das Krematorium transportiert; auf einen Ofen kamen 6 Körper.
Außerdem habe er Gerüchte über zukünftige Opfer gehört, die auch, wie er glaubte, Insassen von Altersheimen und anderen Anstalten einschlössen. Der mit der Leitung von Hadamar betraute Psychiater, Dr. Adolf Wahlmann, aktives Mitglied der deutschen Psychischen Hygiene, führte den Delegierten des Kongresses der europäischen Verfechter der Psychischen Hygiene (welcher 1938 in München stattfand) auf ihrer Rundreise durch deutsche Institutionen seine Anstalt und Elektroschockbehandlungen an seinen Patienten vor.
Es blieb jedoch nicht bei diesem einen Brief; ähnliche Beschwerden häuften sich, als der nicht aufhörende Rauch über den Tötungsanstalten den Leuten der Umgebung anzeigte, dass offensichtlich etwas nicht in Ordnung war. Zahlreiche Gemeindemitglieder (meistens hochangesehene Bürger) sandten ihre Klagen an jeden, von dem sie annahmen, dass er etwas dagegen unternehmen könne.
Die meisten Protestbriefe kamen wohl von den Kirchen. Verschiedene Kardinäle und Bischöfe sowie Pfarrer reichten ihre Beschwerden für gewöhnlich beim Reichsjustizminister ein, wie z.B. der Bischof von Limburg. Er beklagte sich ebenfalls über die Dinge, die in Hadamar geschahen und er schrieb, dass nicht nur die Kinder den Fahrzeugen auf der Straße nachschrien, sondern dass Eltern ihren Kindern drohten, sie würden in die Öfen von Hadamar gesteckt, falls sie nicht brav seien.
Durch die sich häufenden Proteste und Beschwerden erhielt das ganze Projekt viel zu viel Publicity, wesentlich mehr als erwünscht. Im Dezember 1941 änderte man daraufhin die Operationsbasis. Und hier stehen wir wieder vor einer der mannigfachen Mythen, die das Dritte Reich umranken, denn es wurde allgemein angenommen, dass der Führer, nachdem ihm die Klagen zu Ohren gekommen seien, den Befehl gegeben habe, dem Morden ein Ende zu setzen. Wie es auch immer gewesen sein mag, die Tötungsaktionen hörten nicht auf. Sie erhielten lediglich ein anderes Gesicht. Zahlreiche Schriftsteller und Journalisten, die sich mit dieser Periode befassten, schrieben, dass das Programm beendet sei. In Wirklichkeit aber verfolgte man immer noch das selbe Ziel, nur bediente man sich anderer Mittel. Gaskammern wurden nicht mehr benutzt und auf Krematorien verzichtete man ebenfalls. An deren Stelle traten tödliche Spritzen, oder man ließ die Patienten einfach verhungern.
Leichen wurden in Massengräbern verscharrt.
Bei den Psychiatern hatte sich nichts geändert; es war das alte Geschäft und das Euthanasie-Programm lief bis zum Ende des Krieges weiter, in manchen bayrischen Anstalten sogar noch einige Tage länger. Falls Hitzler den Befehl gegeben hat, den Euthanasie-Morden ein Ende zu setzen, dann zeigte ihre tatsächliche Fortsetzung recht deutlich, wie entschieden die Psychiater, ungeachtet der Wünsche des Führers, ihre Ziele verfolgten.
Nachdem der Staat von der schrecklichen Bürde so vieler ungewünschter Esser befreit worden war, expandierte die Aktion T4 im Jahre 1941, immer noch unter der hervorragenden Leitung der psycho-hygienisch orientierten Psychiater, im Jahre 1941 unter der Chiffre 14 f 13. Die bisherigen Aktionen hatten sich auf Patienten der Heil - und Pflegeanstalten beschränkt; mit der Erweiterung des Projektes waren auch die deutschen und österreichischen Insassen von Konzentrationslagern, einschließlich Juden, betroffen.
Die Operation begann anscheinend im Dezember 1941 und zielte auf die Vernichtung der schwachen und Invaliden in den Lagern ab, deren Schwäche und Arbeitsunfähigkeit durch die extra harten Bedingungen des Lagerlebens verursacht worden war. Sonderkommissionen, der Belegschaft von T4 angegliedert und mit dem Auftrag in die Konzentrationslager geschickt, die Krankenstationen und Krankenquartiere zu sichten. Die auf diese Weise ausgewählten Opfer - Kranke und Unerwünschte - wurden für gewöhnlich in eine der sechs Tötungsanstalten transportiert und beseitigt, wie z.B. 800 Patienten des Infektionsblocks im Lager Auschwitz, die in eine Tötungsanstalt "verlegt" wurden.
Bei den Nürnberger Prozessen legte der SS-Lagerarzt in Dachau Zeugnis ab, daß Ende 1941 eine Kommission, bestehend aus 4 Psychiatern, unter der Leitung von Dr. Werner Heyde, SS-Standartenführer und Ordinarius für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Würzburg, im Lager eintraf und sich umgehend ans Werk machte. Sie durchkämmten das Lager und wählten hunderte von Arbeitsunfähigen aus, die in die Tötungsanstalten transportiert wurden. Die Wahl hing von dem Grad der Arbeitsunfähigkeit des Gefangenen ab. Bei Juden fiel die Entscheidung meistens wesentlich leichter, alleine die Erklärung zum Staatsfeind des Nationalsozialismus war Grund genug zur Liquidierung der Juden.
Ein Brief, den Dr. Fritz Mennecke, Mitglied dieser Kommission, am 25. 11. 1941 aus Buchenwald an seine Frau schrieb, illustrierte die Arbeitsweise der Kommission, die auch in Buchenwald Station machte. Zusammen mit seinem Kollegen Müller, habe er an einem Tage 183 Patienten untersucht. Der zweite Schub Patienten seien 1.200 Juden gewesen, die nicht untersucht, sondern lediglich an Hand ihrer Papiere überprüft worden seien, da sich der Grund für ihre Verhaftung leicht aus den Akten entnehmen lasse und nur auf Fragebögen zu übertragen werden brauchte.
Allmählich dehnte sich der Aufgabenbereich der Operation 14 f 13 aus und erfasste schließlich auch Erwachsene und Kinder aus zahlreichen polnischen Heil - und Pflegeanstalten. Gegenwärtig steht mir jedoch erst wenig Beweismaterial zur Verfügung; der Mord an diesen Patienten in Polen bedarf noch einer genaueren Untersuchung.
Neben den Psychiatern, die an dem ganzen Projekt mitarbeiteten, nahmen auch andere Spezialisten teil, allerdings indirekt, indem sie sich seiner "Früchte" bedienten: sie ließen die seltene, aber äußerst günstige Gelegenheit, die ihnen reiches Experimentiermaterial lieferte, nicht ungenutzt vorübergehen. Unter ihnen befand sich der Gehirnspezialist Dr. Julius Hallervorden, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Dillenburg, in Hessen-Nassau, der sich in der glücklichen Lage sah, hunderte von Gehirnen aus den Mordzentren für sein Labor geliefert zu bekommen. Die Gehirne stammten von Geisteskranken, die in den verschiedenen Anstalten liquidiert worden waren. Als er 1945 von den Alliierten verhört wurde, gab er freiwillig zu, dass er diese Kooperation mit dem Euthanasie-Programm initiiert habe und sagte aus:
"Ich hatte von ihrem Vorhaben gehört und deshalb wandte ich mich an sie und sagte ihnen, "nun hört mal her, Menschenskinder, wenn ihr schon alle diese Leute ins Jenseits befördert, dann nehmt wenigstens die Gehirne heraus, damit das Material genutzt werden kann". Sie fragten mich, 'Wie viel können Sie untersuchen?' und so antwortete ich ihnen 'eine unbegrenzte Anzahl, je mehr desto besser'. Ich gab ihnen die Fixiermittel, Gläser und Kisten und genaue Anweisungen für die Entfernung und Fixierung der Gehirne; und dann kamen sie und brachten sie mir, wie eine Lieferung von einer Möbelfirma. Die Gemeinnützige Krankentransport GmbH brachte die Gehirne in Schüben von 150 bis 250 Stück auf einmal. Es befand sich wundervolles Material unter jenen Gehirnen, wunderschöne Geistes - und frühe Kinderkrankheiten. Ich habe die Gehirne natürlich angenommen, wo sie herkamen, ging mich ja nun wirklich nichts an."
(Übersetzung des Verfassers)
Die Entwicklung der Ereignisse bis zu diesem Zeitpunkt zeigt deutlich, dass der Leidenschaft, die die Psychiater in Berlin für T4 entgegengebracht hatten, keine Grenzen gesetzt waren. Für wie patriotisch müssen sie-sich gehalten haben, als sie sich auch noch entschlossen, ihre mutigen Teams im Osten einzusetzen, um den Verwundeten in Eis und Schnee zu helfen, wie Dr. Fritz Mennecke am 12. Januar 1942 seiner Frau in einem Brief erklärte: Quelle: Prozess I, Karl Brandt und Genossen, "Ärzteprozess" NO 907 der Kriegsverbrecherprozesse vor den Nürnberger Militärgerichten.
"Seit vorgestern ist eine große Abordnung unserer Aktion unter Führung von Herrn Brack im Kampfgebiet des Ostens, um an der Bergung unserer Verwundeten in Eis und Schnee zu helfen. Es sind Ärzte, Bürokräfte, Hadamar - und Sonnenstein-Pfleger und - Pflegerinnen dabei, ein ganzes Kommando von 20 - 30 Personen! Das ist streng geheim! Nur diejenigen, die zur Durchführung der dringendsten Arbeiten unserer Aktion nicht entbehrt werden können, sind nicht mitgenommen. Professor Nitsche sprach zu mir auch hiervon und bedauert ganz besonders, dass uns auf dem Eichberg dadurch Aushilfspfleger und Pflegerinnen so schnell wieder weggenommen worden seien."
Dieses Zitat spricht für sich, denn, wenn man sich vor Augen hält, wer den Verwundeten in Eis und Schnee "half", wird deutlich, dass die deutschen Soldaten im Osten drei Fronten zu bekämpfen hatten: die Russische Armee, die Partisanen und die Feinde in den eigenen Reihen. Als ob das Kriegsgemetzel nicht schon ausgereicht hätte, setzte man auch noch Sonderkommissionen ein, um die verwundeten Deutschen von ihrem schmerzvollen Dasein zu erlösen. Die Soldaten saßen nicht nur strategisch in der Zwickmühle, sondern auch moralisch: falls verwundet, in welcher Weise würde ihnen "geholfen" werden?