VII. Kapitel

Psychiatrische Endlösung zur Judenfrage

Die Vernichtungslager müssen von den Konzentrationslagern der Nazis streng unterschieden werden. Die KZs wurden schon bald nach der Machtergreifung eingerichtet. Das erste Etablissement dieser Art war das KZ Dachau. Die KZs waren auch nicht das Resultat einer Erweiterung des KZ-Systems, sondern sie nahmen eine völlig getrennte Entwicklung, die bis heute manchen, der dieses Gebiet erforschte, verwirrt hat. Mit der Kenntnis, die wir von den Plänen der Psychiater haben, können wir jedoch dieses anscheinend Beispiellose als eine logische Konsequenz des psychiatrisch-rassenhygienischen Programms klassifizieren. Den Höhepunkt in der Evolutionskette von Sterilisation, Kastration und Euthanasie stellen eindeutig die Vernichtungslager dar - die Blüte der Pläne - die die Psychiater auf Grund der aus dem Euthanasie-Programm gewonnenen Erfahrungen schmiedeten und welche in der Perfektion des Mordes am Fließband resultierten.

Die Namen der Vernichtungslager lauteten: Belzec, Chelmno, Sobibor und Treblinka. Diese Lager wurden zwischen 1941 und 1943 errichtet. Eine Reihe von Merkmalen unterschieden diese Gattung der besser bekannten Konzentrationslager, unter anderem:

  1. Sie befanden sich alle in Polen, meistens in einem abgelegenen, buchstäblich unbewohnten Gebiet;
  2. Ihr einziger Zweck war, Juden so schnell, wirksam, wirtschaftlich und profitreich wie möglich zu töten
  3. Obwohl an Ort und Stelle unter der Aufsicht der SS und ihrer Hilfstrupps, stammten die Tagesbefehle jedoch aus einer anderen Quelle.

Ohne in viel zu erschreckende Einzelheiten gehen zu wollen, möchte ich zur Veranschaulichung eine kurze Beschreibung ihrer Operationsweise geben:

Die Lager ähnelten der Massenproduktionsabfertigung einer modernen Fabrik. Nichts wurde verschwendet. Sobald ein mit Juden vollgepfropfter Transportzug eingefahren war, wurden die "Reisenden" ins Lager getrieben und mussten ihre Wertsachen und ihr Geld abliefern, angeblich zwecks sicheren Gewahrsams. Sie wurden dann in Umkleideräume geführt, wo sie sich auszuziehen hatten. Die Kleidung wurde für Wohltätigkeitsvereine in der Heimat gestiftet. Anschließend wurden sie in die Gaskammern gepeitscht und vergast. Als alle umgebracht waren, öffneten die jüdischen Arbeitstrupps die Türen, schleiften die Leichen heraus, spritzten sie ab, überprüften die Zähne, brachen Goldzähne heraus (sie wurden der Reichsbank überlassen) und suchten weiter nach eventuell versteckten Werten in den verschiedenen Körperhöhlen.

Vor der Vergasung hatte man natürlich den Frauen das Haar vom Kopf rasiert, da sich dies als äußerst brauchbar für die Herstellung von Filzpantoffeln für die U-Bootsmannschaften erwies. Nachdem die Leichen auf versteckte Wertsachen hin untersucht worden waren, wurden sie auf Waggons geladen und zur Einäscherung in das Krematorium gefahren. Die Knochen wurden anschließend in einer Knochenzerkleinerungsmühle zermalmt und eingesackt. Die Asche wurde ebenfalls in Säcke gefüllt und beide Produkte in die Heimat verschickt, um dort Düngemittel daraus zu fertigen. Man fand sogar ein Rezept für ihre korrekte Anwendung: eine Schicht Knochen, eine Schicht Asche und eine Schicht Erde.

Obwohl die Zahl der in Sachen Nazi-Kriegsverbrechen geführten Prozesse beachtlich ist, reichen dennoch die beiden folgenden Beispiele, der Fall Morgen und der Fall Stangel, aus, um die Herkunft der Tagesbefehle der Vernichtungslager zu lokalisieren.

Am 7. und 8. August 1946 sagte der Sturmbannführer Georg Konrad Morgen, ein SS-Richter, für die SS bei den Nürnberger Prozessen in Bezug auf die Aktivitäten der SS in den besagten Organisationen, aus. Auf Himmlers Wunsch hin wurde Morgen im Juli 1943 vom SS Militärgericht zur Kriminalpolizei versetzt. Seine Aufgabe war es, in den KZs nach Unterschlagung zu forschen. Bei der Verfolgung von Korruptionsfällen in den KZs, stieß er auf streng geheime Dokumente. Morgen führte während der Prozesse immer wieder das Argument ins Feld, dass die Vernichtungslager in keinster Weise unter der Leitung der SS gestanden hätten. Im Sommer 1943 habe er, so sagte er aus, von dem Befehlshaber des Sicherheitspolizeidienstes (SD) des Bereiches Lublin/Polen gehört, dass in einem jüdischen Arbeitslager eine Hochzeit stattgefunden habe, bei der 1200 Gäste, einschließlich deutscher SS-Männer, zugegen gewesen sein. Diese verrückte Geschichte erstaunte Morgen so sehr, dass er in dieser Richtung Nachforschungen betrieb. Er stieß auf ein anderes Lager, 'ziemlich eigenartig und undurchdringlich', dessen Leiter Christian Wirth ihm die Geschichte von der jüdischen Hochzeit bestätigte und erklärte, dass sie Teil eines Planes sei, durch den er hoffte, die Juden dazu überreden zu können, in Vernichtungslagern zu arbeiten, wo sie bei den Liquidierungen assistieren sollten. Die vier Vernichtungslager waren schon vorher in den Nürnberger Prozessen aufgetaucht, Morgens Aussage lieferte jedoch die ersten Anhaltspunkte zu dem noch ungelösten Geheimnis ihrer obersten Befehlshaber. Morgen bestand darauf, dass die Leitung der Lager nicht in den Händen der SS ruhte, denn er habe Wirths Tagesbefehle gesehen. Diese Tagesbefehle seien nicht aus Himmlers Reichssicherheitsamt (RSHG) gekommen, sondern aus der Kanzlei des Führers und sie waren mit 'Blankenberg' unterzeichnet. Morgens Aussage war also soweit der einzige Schlüssel zur tatsächlichen Kommandolinie des jüdischen Vernichtungsprogrammes.

Diese Entdeckung wurde später in dem Prozess des berüchtigten Franz Stangl bestätigt. Stangl, ein österreichischer Polizist, wurde nach dem Anschluss automatisch Mitglied der österreichischen Gestapo. 1940 wurde er zur "Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege", eine Tarnorganisation von T4, versetzt. Er erhielt den Befehl, sich bei einem Dr. Werner in Berlin zu melden. Werner informierte ihn, dass er für die schwere und anspruchsvolle Stelle des Polizeisuperintendanten eines speziellen Institutes ausgewählt worden sei. Das Institut sei der "Stiftung" unterstellt.

In der Unterredung erklärte Werner, dass Russland und Amerika seit einiger Zeit ein Gesetz hätten, welches zuließ, Geisteskranken und Missgestalteten den Gnadentod zu geben (was natürlich nicht stimmte). In Deutschland werde sehr bald auch ein solches Gesetz erlassen, aber hierzu sei noch größerer Aufwand an psychologischer Wegbereitung nötig. In der Zwischenzeit habe das Werk jedoch schon unter striktester Geheimhaltung begonnen. Werner fuhr fort, dass die Patienten, die für diese Aktion in Frage kämen, von mindestens zwei Ärzten erst einmal gründlich untersucht und getestet würden. Nur den absolut unheilbaren Patienten würde dann ein leichter und schmerzloser Tod gegeben. Alles, was er (Stangl), zu tun hätte, sei, die Verantwortung Für die Ruhe und Ordnung im Institut zu tragen; er sei nicht in die eigentliche Operation verwickelt, da diese alleine von den Ärzten ausgeführt werden würde. Stangl sollte die Verantwortung für eine maximale Sicherheit tragen. Nach seiner Audienz mit Werner meldete sich Stangl in der KdF. Er glaubte, sich erinnern zu können, dass Brack ihn in T4 begrüßt, ihm seine spezifischen Polizeipflichten erläutert und ihm die Wahl überlassen habe, wo er eingesetzt werden wolle. Er entschloss sich für Österreich, um in der Nähe seiner Familie sein zu können. Stangl erhielt eine Telefonnummer und den Namen einer Ortschaft, in der er einen Anruf machen sollte, um die weiteren Anweisungen zu erhalten. Er führte die Instruktionen aus und wurde nach Hartheim gebracht. Nach seiner Ankunft lernte er die beiden leitenden Ärzte und seinen Vorgesetzten, Hauptmann Christian Wirth, kennen. Wirth kümmerte sich anscheinend nicht viel um die wissenschaftlichen Rechtfertigungen, die die Psychiater benutzten, denn 'das sentimentale Gesabbel um solche Leute sei ja wohl zum Kotzen'- wie er sich auszudrücken pflegte.

Neben den beiden Ärzten, Dr. Lohnauer und Dr. Renno, zählten sieben Krankenschwestern und sieben Pfleger zum ärztlichen Team. Hartheim war wie ein Krankenhaus eingerichtet, in dem Untersuchungen stattfanden. Stangls Aufgabe war, darauf zu achten, dass solche Dinge wie Ausweise, Besitztümer und Urkunden der Patienten, den Angehörigen ordnungsgemäß übersandt wurden.

Nach dem Ende seiner Dienstzeit in Hartheim, war Stangl für kurze Zeit in der Tötungsanstalt Bernburg bei Hannover tätig. Anschließend wurde er wieder ins Hauptquartier T4 beordert, um dort neue Instruktionen in Empfang zu nehmen. Er hatte die Wahl, entweder in die Heimat auf seinen früheren Posten (wo er mit seinen Vorgesetzten einige Schwierigkeiten hatte) zurückzukehren, oder nach Lublin/Polen zu gehen. Er entschied sich Für Polen, wo er sich bei Brigadeführer Odilo Globocnik, genannt "Globus", im SS-Hauptquartier Lublin zu melden hatte. Globocnik beauftragte ihn mit dem Bau eines neuen Vernichtungslagers.

Kurz nach seiner Ankunft auf der Baustelle für das Vernichtungslager Sobibor, kam nach und nach das Personal der "Euthanasie-Aktion" an. Unter ihnen befanden sich auch viele alten Freunde von Hartheim. Stangl fungierte als Aufseher von Sobibor von Mai bis August 1942, dann übernahm er Treblinka bis August 1943.

Obwohl es ihm nach dem Krieg gelang, dem Gesetz zu entkommen, wurde er schließlich doch noch gefasst und 1970 zu lebenslänglicher Haft verurteilt und zwar, wegen Mitverantwortlichkeit an der Ermordung von 400.000 Männern, Frauen und Kindern, während seiner Dienstjahre als Aufseher des Lagers Treblinka.

Es ist schwierig, auch nur eine annähernde Summe der Anzahl von Männern, Frauen und Kindern, die in diesen Lagern umkamen, nachzuweisen, doch die folgenden allgemein anerkannten Zahlen vermögen uns eine ungefähre Vorstellung von dem ungeheuren Ausmaß dieses Verbrechens zu geben:

    Lager

    Treblinka  ca. 700.000- 800.000
    Sobibor  über 250.000
    Belzek   fast 600.000
    Chelmno über 300.000

Von dem Personal, das an diesen Morden beteiligt war, wurde folgende Anzahl von Leuten in den Mörderschulen trainiert: 130 für Belzec, 106 für Sobibor und 90 für Treblinka. Viele von ihnen lernten ihr Handwerk in Hartheim.

Als sich das Kriegsglück im Osten wendete, ergriff man zahlreiche Vorkehrungen, um zu verhindern, dass die Lager in die Hände der Russen fielen, und das, was die Russen dadurch finden würden, für Propagandazwecke benutzt würde. Eine der Maßnahmen war, Lager dem Erdboden gleichzumachen und der Landschaft durch das Einpflanzen von Bäumen und Sträuchern ein anderes Gesicht zu geben.

Das Personal wurde in alle Richtungen zerstreut und auf äußerst risikoreiche Kriegsschauplätze zum Einsatz gebracht. Wirth z.B., wurde 1944 -so nimmt man an - von Partisanen in Jugoslawien getötet.

Als die Alliierten das Reich immer enger umzingelten, entstand unter den "Bürokraten des Todes" der unvermeidliche Drang zur Flucht. Einige hatten Erfolg, andere nicht. Philipp Bouhler beging Selbstmord, als die Russen sich Berlin näherten. Leonardo Conti nahm sich ein einer Zelle in Nürnberg das Leben. Karl Brandt wurde gefasst, verurteilt und hingerichtet.

Die Limburger Prozesse, die seit 1961 vorbereitet wurden, betrafen einige der Spitzenpsychiater und - bürokraten. Unter ihnen befand sich Dr. Werner Heyde, ein T4 Super-Experte. Nach dem Krieg praktizierte er öffentlich in Deutschland unter falschem Namen und wurde als Dr. Schwade bekannt. Er war verschiedentlich für eine Versicherung, im Rechtswesen und an Gerichten tätig. Viele wussten, wer er in Wirklichkeit war: Richter, Anwälte, Ärzte, Universitätsprofessoren und hohe Staatsbeamte. Sie hielten diese Verschwörung des Schweigens aufrecht.

Während er auf sein Verfahren wartete, unternahm er einen erfolglosen Fluchtversuch. Fünf Tage vor seiner Verhandlung beging er in einem unbewachten Augenblick Selbstmord. Seinen Mitangeklagten gelang es ebenfalls, sich der Gerechtigkeit zu entziehen. Dr. Friedrich Tillmann, von 1935 bis 1945 Direktor der Kölner Waisenhäuser, sprang aus dem 8. Stock eines Hauses (oder wurde er gestoßen?). Dr. Bohne floh auf der Nazi-Fluchtroute nach Südamerika. Der vierte Angeklagte, Dr. Hans Hoffmann, Leiter der Sektion IIb ("Gnadentod") in der Kanzlei des Führers, wurde aufgrund schweren Leidens für unfähig erklärt, vor Gericht zu erscheinen. Es sieht so aus, als ob Personen an höheren Stellen nicht wünschten, diese Prozesse stattfinden zu lassen.

Eine andere Persönlichkeit, die während der Vorbereitungen dieser Prozesse vernommen wurde, Dr. Werner Villinger, wurde damit belastet, bei der Etablierung der Psychischen Hygiene in Deutschland vor dem Krieg -und derselben Bewegung, allerdings unter dem Namen "Psychische Gesundheit" - nach dem Krieg beteiligt gewesen zu sein. Ein hervorragender Psychiater, der zwei Jahre vor Hitlers Machtergreifung die Sterilisation von Erbkranken Patienten befürwortet hatte. Er war davon überzeugt, dass die tiefsten Wurzeln von dem, was wir Temperament und Charakter nennen, in der Konstitution der Erbanlagen zu finden seien. Während einer Vernehmung wurde öffentlich bekannt, dass er in einem Euthanasie-Programm eine prominente und sehr aktive Rolle gespielt hatte. Er ging in die Berge und beging Selbstmord. Sein ehemaliger Kollege und Assistent, Dr. Helmut Erhard, veröffentlichte einen Nachruf in der Zeitschrift "Der Nervenarzt", in dem er Dr. Villingers Ableben als einen tragischen Unfall schilderte, seinen Tod tief bedauerte und den Verlusteines solchen wunderbaren humanen Mannes für die Menschheit bedauerte.

Es gab jedoch wenigstens einen Ort, an dem diejenigen, die den Krieg über-lebten, keinen Selbstmord begingen und sich auf freiem Fuß befanden, Zuflucht suchten und ungestraft erscheinen konnten: in einer Gemeinschaft, die ihre Talente willkommen hieß und ihre Ansichten teilte.

 

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